Von Dipl.-Ing. Michael Springer
Die zwölf Berliner Bezirke informieren unterschiedlich über die Praxis der Baumfällungen. Infolge der letzten Dürrejahre kommt es auch zu einem anhaltenden, berlinweiten „Stadtbaum-Sterben.“ — Es wird aber nicht direkt ausgesprochen! — Baumsachverständige, zuständige Ämter und Stadträte verstecken das massenhafte Baumsterben hinter Diagnosen wie Pilzbefall, Morschungen, Baum abgängig, Stamm- und Wurzelstockfäule, Stammmorschung, Stammfußmorschung und Wurzelstockmorschung — oder ganz lapidar als „Abgestorben“. — Begriffe wie „Dürreschäden“ und „Dürretod“ werden offenbar bewußt vermieden.
Mit Hinweis auf die Verkehrssicherungspflicht und „fehlende Standsicherheit“ werden deshalb auch sehr viele Stadtbäume mitten in der Sommerzeit gefällt. — Das Bundesnaturschutzgesetz erlaubt das Fällen von Bäumen jedoch lediglich zwischen dem 01. Oktober und dem 28. Februar eines Jahres.
Nun läuft die nächste Baumfäll-Saison. Das Bezirksamt Berlin-Mitte kümmert sich höchst ausführlich um das Beschneiden und die Kronenpflege der Stadtbäume, wie aktuell dargestellt wird.
Beispielhaft: in Treptow-Köpenick zeigt man jede Baumfällung mit wichtigen Kenndaten öffentlich an.
In der Berliner Grünpolitik (nicht nur in Berlin-Mitte) fließen jedoch mehr und mehr beschönigende, euphemistische und „schräge“ Formeln ein, wie in der aktuellen Pressemitteilung vom 21.10.2022:
„Die Bezirksstadträtin für Ordnung, Umwelt, Natur, Straßen und Grünflächen, Dr. Almut Neumann, informiert: Mehr als 26.000 Bäume säumen die Straßen in Berlin-Mitte. 213 Straßenbäume mussten im Jahr 2022 bislang gefällt werden. Ihnen stehen bislang 316 Neupflanzungen gegenüber; weitere Neupflanzungen sind geplant. Die diesjährige Straßenbaumbilanz für den Bezirk Mitte wird damit voraussichtlich positiv ausfallen.“
Straßenbaumbilanz täuscht über Grünverlust hinweg
Der Euphemismus: wenn alte gefällte Bäume und neu gepflanzte Bäume nur über die Stückzahl bilanziert werden, werden gewichtige und lebensnotwendige ökologische und klimatologische Kenngrößen ausblendet.
Denn um den riesigen Verlust an Kronenvolumen, Schattenflächen und mikroklimatischen Kühlungspotential direkt auszugleichen, müssten je gefällten Baum wenigstens 20 junge Bäume nachgepflanzt werden.
Eine ökologische Stadtbaumbilanz könnte mehr Datenwahrheit schaffen, und müsste ganz anders aussehen.
Unklare Fachbegriffe vernebeln die harte Wirklichkeit
Beschönigend sind grünpolitische Formulierungen mit Sätzen wie „Straßenbäume in der Stadt haben besonders schwierige Lebensbedingungen.“ — Es sind tatsächlich „existenzbedrohliche Bedingungen!“
Versiegelung, Schadstoffe und Beschädigungen setzen ihnen nicht nur „besonders“ — sondern „akut und systemisch“ zu.
Beschönigende Sprache ist es auch wenn eine Stadträtin schreiben lässt: „Dazu kommen die Auswirkungen des Klimawandels. Lange Hitzeperioden, Trockenheit, Schädlinge und Krankheiten schwächen die Vitalität der Bäume zunehmend.“ — Denn die Hauptursache „Dürre“ und „Extremdürre im Boden“ wird dabei verschwiegen!
Beschönigend und falsch wird das Wort „Klimaresilienz“ für grüne Politik mißbraucht! — Per Definition beschreibt Klimaresilienz aber die Widerstandsfähigkeit „sozial-ökologischer Systeme“ gegenüber den Folgen des Klimawandels.
Die nachfolgende Formulierung in der Pressemitteilung ist daher schlichtweg „Mumpitz*“: „Das Bezirksamt Mitte setzt seit vielen Jahren daher auf klimaresiliente Arten wie Feldahorn, Ulme, Hainbuche, Blasenesche sowie einige Kirschbaum- und Lindensorten.“
Richtig ist: das sozialökologische System „Straßen- und Grünflächenamt“ mit Amtsleitung und ausführenden Gärtnern ist nicht „klimaanpassungsfähig bzw. klimaresilient“ aufgestellt, weil es Bäume „vertrocknen“ lässt, statt im Sommer bis zu 140 mm Verdunstungsverluste mit ca. 200-300 mm Bewässerungsleistung in ca. 3 Bewässerungsgängen auszugleichen!
So haben auch die o.g. Baumarten ohne eine gesicherte Wasserversorgung im Sommer überhaupt keine Überlebenschance!
Wassermangel und Dürre: Hauptursachen für den Baumtod
Schräg wird es, wenn auf eine Leistungsbilanz in der Bewässerung von Bäumen verwiesen wird: „Mit Hilfe von Feuchtigkeitssensoren misst das Straßen- und Grünflächenamt Mitte den Flüssigkeitsbedarf von Straßenbäumen und kann so zielgerichtet gießen.“ — Dazu muss man wissen: wenn im Boden noch Feuchtigkeit gemessen wird, kann es für den Baum schon zu spät sein! — Denn ein ausgewachsener Baum verdunstet an einem heißen Tag viel Wasser. Um das lebende Gewebe feucht zu halten, benötigt ein Baum 95 Prozent seines in der Biomasse vorhandenen Flüssigkeitsbedarfs. Ein ausgewachsener Baum mit einem Kronendurchmesser von 16 Metern kann bis zu 1000 Liter am Tag als Dampf abgeben. Schon am nächsten Tag kann der Baum tot sein, weil der „permanente Welkepunkt“ erreicht wurde, bei dem der kapillare Flüssigkeitsstrom zwischen Wurzeln und Blättern zusammenbricht!
In der Pressemitteilung ist man auch etwas unentschieden, wieviel Wasser zur Bewässerung eingesetzt wird: „Im Sommer 2022 hat das Bezirksamt Mitte aus Stadtwasseranschlüssen und den eigenen Pumpwerken insgesamt 1.470.045 Kubikmeter Liter Wasser zur Bewässerung der Bäume im Bezirk eingesetzt. Insgesamt fünf Bewässerungsfahrzeuge sind in trockenen Phasen in Mitte im Einsatz.“
Offenbar handelt es sich um 1.470 Kubikmeter Wasser, das ist bei einem Fassungsvermögen von bis zu 6 Kubikmetern je Fahrzeug mit ca. 245 Fahrten gut leistbar. — Doch mit dieser Menge kann nur ein Bruchteil der rund 26.000 Straßenbäume in Dürrezeiten versorgt werden — sehr viele Bäume blieben unversorgt und sich selbst überlassen.
Trend zur „Klimaanpassung mit der Motorsäge“ stoppen!
Klimaschutzpolitik versagt in Berlin beim Thema „Stadtbäume.“ — Statt der sommerlichen Hitze und Trockenheit mit „Wasserschlauch & Gießkanne“ systematisch und nach Bedarf entgegenzutreten, wird „Klimaanpassung mit der Motorsäge“ betrieben.
Bedarfsgerechte Bewässerung bemißt den Wasserbedarf nach Kronenradius und bilanzierten Wasserdefizit. Bei einem Kronenradius von drei Metern ergibt das eine Fläche von ca. 10m². 66mm Regen auf dieser Fläche entsprächen 660 Liter Wasser über einen Monat verteilt. Bei 140 mm Verdunstung müssen aber auch diese 1.400 Liter Wasser zusätzlich kompensiert werden (= 1,4 Kubikmeter).
Das Versagen wird sogar systematisch vorprogrammiert, weil mit Glaubenssätzen, statt mit Fakten und Erkenntnissen geplant wird:
„Um vor allem jungen Bäumen mehr Platz für die Aufnahme von Wasser und die Bildung eines stabilen Wurzelwerks zu bieten, ermittelt der Bezirk Mitte derzeit Entsiegelungspotenziale.“
Im Schatten mag es mit entsiegelten Baumscheiben und Fläche gerade noch klappen, aber an allen Sonnenstandorten wird die hohe sommerliche Verdunstung das Baumsterben noch beschleunigen!
Wenn der Trend zur „Klimaanpassung mit der Motorsäge“ gestoppt werden soll, muss das „klimaresiliente Straßen- und Grünflächenamt“ kommen! Es muss mit seinen Verantwortungsträgern die Pflicht tragen, sein grünes Inventar und die Straßenbäume auch dauerhaft und sicher mit Wasser zu versorgen!
Im Verantwortungsbereich der Straßen- und Grünflächenämter ist die Wasserversorgung auch der einzige, alles entscheidende, dosierbare Faktor, der das Überleben aller Bäume sichern kann!

Großkronige Straßenbäume kühlen die Stadt
UNICEF sieht vor allem die nächste Generation unserer Kinder als besonders gefährdet an! UNICEF-Sprecher Tarneden sagte dazu, in diesem Sommer habe man in Deutschland bereits erlebt, wie quälend extreme Hitzewellen sein könnten. „Hitzefrei war nicht mehr ein Geschenk für die Kinder, sondern wurde notwendig, weil Lernen nicht mehr möglich war.“ — Auch Senioren müssen die Überwärmung der Stadt fürchten, es gab in der EU in diesem Sommer bereits tausende Hitzetote.
Vor allem großkronige alte Stadtbäume bilden ein wichtiges, lebenserhaltendes Potential für eine lebenswerte Stadt. Ihre Kühlleistungen sind unabdingbar auf eine beständige Wasserverfügbarkeit im Wurzelraum angewiesen.
Die CityLab-Anwendung www.giess-den-kiez.de verlagert diese Verantwortung völlig unzureichend vom Grünflächenamt auf das Ehrenamt! — Das geht angesichts der erforderlichem Mengendimensionen vorhersehabr völlig schief!
Auch die Praxis, neu gepflanzte Jungbäume drei Jahre lang von Firmen zu bewässern, und danach bis in das sechste Jahr in der Verantwortung des Straßen- und Grünflächenamtes zu bewässern, ist notdürftig!
Denn ab dem sechsten Jahr nach der Pflanzung, werden Straßenbäume in Berlin bisher sich selbst und dem Klimawandel und unkalkulierbarer Dürre überlassen! — Ob sie noch mehrere Dekaden überleben, ist inzwischen völlig fraglich!
Klimaaktivisten für den Erhalt alter Stadtbäume werden gebraucht! — Es ist dringend, sich um den tatsächlichen physischen Umwelt- und Klimaschutz zu kümmern, und alle Bäume im Sommer zu bewässern, um das Baumsterben wenigstens aufzuhalten.
)* Mumpitz — Börsensprache, Berlin, seit dem 19.Jhdt. für „erschreckende Gerüchte“ oder „schwindelhaftes Gerede“ — leider gebräuchlich in 12 Berliner Bezirksämtern und im Planer-Deutsch und in Beteiligungs-Runden zur Partizipation & Teilhabe!