Freitag, 19. April 2024
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HDE fordert Innenstadtfonds in Höhe von 500 Millionen Euro

Leere Innenstadt

Kommentar: Michael Springer

Die Corona-Pandemie und die ordnungspolitischen Maßnahmen zum Infektions- und Gesundheitsschutz legen auf einen Schlag alle Strukturprobleme der Digitalisierung in der offenen Gesellschaft und in der sozialen Marktwirtschaft frei, die schon lange vorher erkennbar waren.

Im stationären Handel rollt infolge Umsatzausfall und fehlenden laufenden Umsätzen eine nie gekannte Pleitewelle durch das Land. Angesichts vielerorts verödender Innenstädte fordert nun der Handelsverband Deutschland (HDE) die Einrichtung eines Innenstadtfonds, um die Stadtzentren zu unterstützen.
Die geforderten Mittel in Höhe von 500 Millionen Euro sollten genutzt werden, um die aktuelle Lage der Innenstädte zu analysieren und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Niedergang vieler Zentren aufzuhalten.

„Das Einkaufen ist für die meisten Menschen der Hauptgrund, in die Innenstadt zu kommen. Doch viele Innenstädte sind in extremer Schieflage. Leerstände machen die Stadtzentren unattraktiv und lösen eine Spirale nach unten aus. Das ist auch für die Händler vor Ort ein großes Problem. Wenn die Kunden nicht mehr zum Bummeln kommen, stimmen die Umsätze nicht mehr“, so verlautbart HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.

Die finanziellen Mittel des Innenstadtfonds sollen dem HDE zufolge auf drei Sonderfonds aufgeteilt werden:
– zur Aktualisierung und Standardisierung von Einzelhandelskonzepten,
– zur Analyse der Leerstandssituation
– aktive Ansiedlungspolitik, mit attraktiven Branchenmix in Stadtzentren.

Steuermittel für die Reparatur der sozialen Marktwirtschaft?

HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth richtet damit seinen Blick zuerst auf den Staat und die Steuerzahler.
Genth: „Vielerorts gibt es keine schlüssigen und durchdachten Konzepte zur Stadtgestaltung. Deshalb soll es mit Hilfe des Innenstadtfonds gelingen, die Kommunen zur Erstellung von Innenstadtkonzepten zu bewegen. Es gilt ganzheitlich darüber nachzudenken, wie die Herzen der Städte attraktiv und lebendig gestaltet werden können.“

Der HDE unterschätzt dabei wohl selbst die Beschleunigung der digitalen Transformation im Handel, denn längst geht es nicht mehr um bessere Stadtkonzepte, sondern auch um eine faire digitale Marktordnung und einen fairen Transaktionskostenwettbewerb in den Städten.

Fairen Handel hat der HDE sogar selbst in die Diskussion gestellt. Doch in der Digitalen Agenda 2020 des HDE wird zum Thema Algorithmen eine Position bezogen, die für Interessen der großen Handelskonzerne einnimmt, jedoch existenzielle Kostennachteile und negative Skalierungsmechanismen des inhabergeführten stationären Handels völlig ausblendet.

Die neue HDE-Forderung nach einem Leerstandskataster ist völlig überflüssig: das ist keine staatliche Aufgabe, sondern ein klassisches Geschäft von digitalen Mittlern und Immobilien-Dienstleistern.

In der Insolvenzverwaltung, Unternehmens-Abwicklung und Unternehmensnachfolge ist sogar der HDE selbst schon weiter, und kooperiert z.B. mit der Deutschen Unternehmerbörse, die über Zugang zu vielen professionellen Instrumenten verfügt, um Geschäftsübergänge abzufedern, zu erleichtern, oder um auch Neuanfänge in leeren Geschäften zu beschleunigen.

Perspektivenwechsel Business Improvement

Der HDE müsste längst seine Verbandspolitik im Hinblick auf sogenannte Business Improvement Districts (BID) überdenken, das stationären Handel mit immer mehr Transaktionskosten und ineffizienten Strukturen überfrachtet und belastet. Speziell in Berlin wurde die Bildung von Vereinstrukturen gefördert, die nun unter Bedingungen der Pandemie ohne Geschäftsbetrieb und z.T. ganz ohne ehrenamtliche Schlüsselakteure still stehen.
Inzwischen funktioniert in Berlin nur ein einziges BID selbsttragend. Alle anderen Standortgemeinschaften (incl. Altstadtmanagement) sind ausschließlich auf staatliche Subvention und Projektförderungen für „Kiez-ISG´s“ gebaut, die nur zeitweilige, aber nicht nachhaltige Wirkungen entfalten.

Längst wäre es z.B. notwendig, die Kosten für Weihnachtsbeleuchtungen in den Innenstädten auch auf den gesamten Online-Handel umzulegen, und die großen Handelsplattformen an den Kosten des Stadtmarketings zu beteiligen.

Der HDE hat selbst mit vielen einzelnen Themen- und Positionspapieren die Transformation der großen Player und Zentren im Handel gefördert und unterstützt.
Aber ein tragfähiges Förderprogramm für digitale Transformation im kleinen inhabergeführten Einzelhandel ist noch nicht aufgelegt worden.

Heimlich wird sogar mit dem Kalauer gelästert, wonach der Einzelhändler nur einzeln handelt. Hinter dem Rücken der in höchster Not befindlichen Alleininhaber wird über deren fehlende Innovationskraft geklagt.

Durchdachte Standards und Investitionsförderung im Mittelstand

Große Handelskonzerne haben im Handel die Innovationsführerschaft und vor allem in allen Geschäftsprozessen die Transaktionskosten-Führerschaft übernommen. Berührungsloses Bezahlen, Shopping-Apps und eCommerce und sichere Kassensysteme erfordern heute Investitionskosten, die zusammen mit hohen Gewerbemieten nicht mehr mit traditionellen Handel 1.0 erwirtschaftet werden können.
Der Mittelstand hat nur noch eine Chance, wenn es in der Komplexität der Technologien und Marktkanäle mehr amortisierbare und tragende Standards, Investitionsförderung und mehr Planbarkeit gibt.

Mehr Markt, faire Regeln und mehr Investitionssicherheit

Wenn Genth dazu fordert „Die Städte müssen aktiver gemanagt werden, Ansonsten ist die Zukunft der Innenstädte in Gefahr“ so greift das zu kurz. Der stationäre Handel muss vor allem vor weiteren zusätzlichen Transaktionskosten und zusätzlichen Zeit- und Personalaufwand geschützt werden.
Nicht unmittelbar betriebsnotwendige Transaktionskosten, Zeit- und Personalaufwand“ im Zusammenhang mit Stadtmarketing und City-Management müssten vor allem von Vermietern und anderen kommunalen Akteuren getragen werden.

Im Marketing-Mix und Wettbewerb mit digitalen Plattformen wie Amazon, Otto und Zalando & Co. zählen inzwischen vor allem Preis- und Transaktionskostenvorteile. Der stationäre Handel muss sich dabei mehr und mehr auf kreative Nischen plus eCommerce besinnen.

Die Beschleunigung und Vielfalt von Innovationen erweist sich aber längst als Kostenproblem: Investitions- und Abschreibungszyklen passen nicht mehr mit Ertragskraft, Betriebsgrößen und Weiterbildungskapazitäten vieler stationärer Geschäftsmodelle zusammen.
Proklamierte Omnichannel-Strategien im eCommerce überfordern längst auch mittlere Handelskonzerne.

Zudem belasten hohe Regulierungskosten im Datenschutz und in der Zahlungsabwicklung den Handel. Mindestumsatz-Hürden gelten heute nicht nur im Wareneinkauf, sondern auch bei der Bindung an Zahlungssysteme. Für Kleinhändler gibt es hohe Zugangs-Hürden.

Der Handelsverband Deutschland steht wegen der dynamischen Insolvenzentwicklung im inhabergeführten Handel vor einen notwendigen Paradigmen-Wechsel:

Statt nur mehr Stadtgestaltung und Stadtmanagement zu fordern, die großen Handelskonzernen noch mehr Mitnahmeeffekte bescheren, sollte eine mittelstandsorientierte und branchenbezogene Handels- und Innovationspolitik aufgelegt werden, die kleinen Händlern in Innenstädten echte Chancen eröffnet!

Auch die Immobilienwirtschaft muss sich anpassen und umorientieren, und Mietlösungen anbieten, die stationären Handel lebensfähig und interessant halten!

ms