Dienstag, 19. März 2024
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Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin fordert vollständige Wahlwiederholung

Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin

Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat heute die Wahlen zum 19. Berliner Abgeordnetenhaus und zu den zwölf Berliner Bezirksverordnetenversammlungen (BVVen) vom 26. September 2021 insgesamt für ungültig erklärt. Die Entscheidung erging in dem Wahlprüfungsverfahren über die Einsprüche der Landeswahlleitung, der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport sowie der politischen Parteien AfD und Die PARTEI.

Nach umfassender Auswertung aller 2.256 Protokolle aus sämtlichen Berliner Wahllokalen, der von der Landeswahlleitung zur Verfügung gestellten Daten sowie Prüfung der rund hundert Schriftsätze der insgesamt über 3.000 Verfahrensbeteiligten ist der Verfassungsgerichtshof zu der Überzeugung gelangt, dass verfassungsrechtliche Standards nur durch die komplette Ungültigkeitserklärung der Berliner Wahlen gewährleistet werden können. Schon die Vorbereitung der Wahlen stellt für sich genommen einen Wahlfehler dar, der weitere erhebliche Wahlfehler nach sich gezogen hat. Damit ist in mehrfacher Hinsicht gegen die in der Berliner Verfassung niedergelegten Wahlgrund-sätze verstoßen worden. Die Wahlfehler sind mandatsrelevant. Eine nur punktuelle Wahlwiederholung in einzelnen Wahlkreisen wäre angesichts der Vielzahl und Schwere der Wahlfehler nicht geeignet, einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen.

Die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes machte in ihrer heutigen mündlichen Urteilsbegründung deutlich, dass sich der Verfassungsgerichtshof der Tragweite der Entscheidung durchaus bewusst sei. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass es sich um einen einmaligen Vorgang in der Geschichte der Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland handele. Nur durch die vollständige Wiederholung der Wahl könne eine Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen gewährleistet werden, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen an demokratische Wahlen entspreche.

Die Pressemeldung vom 16.11.2022 enthält ausführliche Erläuterungen und den Link zum PDF-Dokument Urteil VerfGH 154/21 – 16. November 2022 .

Wiederholung auch der Bundestagswahl 2021

Am Donnerstag, 10. November 2022 hat der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages beschlossen, dass die Bundestagswahl vom 26. September 2021 in 431 Berliner Wahllokalen wiederholt werden muss. 
Der Bundestag hat eine entsprechende Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses (20/4000) gebilligt. Für den Vorschlag des Ausschusses stimmten in namentlicher Abstimmung 374 Abgeordnete. 252 votierten dagegen, 31 enthielten sich. Bei der Bundestagswahl 2021 war es in der Hauptstadt zu zahlreichen Wahlpannen gekommen. So fehlten mancherorts Stimmzettel und teilweise blieben Wahllokale auch bis nach 18 Uhr geöffnet.

Wie aus der Beschlussvorlage zu 1.713 Wahleinsprüchen hervorgeht, entschied sich der Wahlprüfungsausschuss mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der AfD-Fraktion für eine „Wiederholung in Wahlbezirken mit nachgewiesenen Vorfällen in allen Berliner Wahlkreisen“. Dabei soll in den betroffenen Wahlbezirken sowohl die Erst- als auch die Zweitstimmenwahl wiederholt werden. 

Gegen diese Entscheidung zu einer Wahlwiederholung in nur 431 Wahlkreisen wurde Widerspruch eingelegt. „

Die CDU/CSU-Fraktion hatte ihr Stimmverhalten damit begründet, sich für eine komplette Wiederholung der Zweitstimmenwahl in den sechs vom Bundeswahlleiter angefochtenen Berliner Wahlkreisen auszusprechen. Dabei sei in Reinickendorf und Pankow zusätzlich auch die Erststimmenwahl zu wiederholen. Darüber hinaus sei nach ihrer Überzeugung auch in den anderen sechs Berliner Wahlkreisen eine Wiederholung der Zweitstimmenwahl erforderlich, dort allerdings nur in den Wahlbezirken mit nachgewiesenen Wahlfehlern.

Angesichts der „zahlreichen und erheblichen Wahlfehler, die in Berlin unstreitig stattgefunden haben“, reiche eine auf einzelne Wahlbezirke beschränkte Wahlwiederholung nicht aus. Der Vorschlag der Koalition, „mit Verweis auf angebliche Verhältnismäßigkeitserwägungen nur in gut 400 Wahlbezirken neu wählen zu lassen“, werde „dem Berliner Wahlchaos nicht ansatzweise gerecht“.“

Kommentar: Angesichts der beiden Entscheidungen wird erwartet, dass auch die Bundestagswahl 2021 vollständig wiederholt werden muss — denn die vielen Mängel der Berliner Wahlen treffen auch mit den Mängeln der Bundestagswahl 2021 zusammen.