Von Michael Springer
Deutschland und Europa, die NATO und ihre Verbündeten befinden sich bereits seit Monaten in einer Vorkriegssituation, die jederzeit über die Ukraine und den laufenden russischen Eroberungs- und Völkermord-Krieg hinaus eskalieren kann. — Die Lage ist inzwischen kritisch, und kann zu einer Überwältigung der ukrainischen Streitkräfte führen.
Es herrschen Unsicherheit und auch Angst, die immer wieder durch Atomwaffen-Drohungen aus Moskau neu angeschoben werden.
Die vermeintliche Nuklear-Waffen-Eskalations-Initiative und die mögliche Eskalations-Dominanz liegen dabei in den Händen eines autokratischen Führers im Kreml und seiner schwer überschaubaren Machtelite in Russland.
Es gibt dazu in Europa und in den Köpfen der Menschen eine große Unsicherheit, weil es in der Politik und in der Sicherheitspolitik ein großes und systemisches Versagen gibt. Es kann als ein tiefes und handwerkliches Führungsversagen beschrieben werden, aber auch als ein komplexes Systemversagen der sicherheitspolitischen Kommunikation.
Die Abschreckung kann nicht funktionieren, wenn es im Bundestag politisches Reden gibt, und zeitgleichen Munitionsmangel der Bundeswehr, die praktisch nur für ganze drei Tage Krieg ausgestattet ist!
Es ist auch eine „menschliche und moralisch abgrundtiefe Schweinerei“, Bundeswehrsoldaten mit völlig unzureichender Ausstattung und Bewaffung in internationale Einsätze zu entsenden!
Aktuell gilt das auch für die Marine-Soldaten der Fregatte Hessen, die ohne ausreichende Bewaffnung ins „Rote Meer“ entsendet wurden.
Schlimmer noch: Die für die Abschreckung erforderliche sogenannte „Nukleare Teilhabe“ kann nicht funktionieren, wenn die notwendigen Flugzeuge und Waffen auf dem Stützpunkt Büchel kaum einen Erstschlag überleben und für den Zweitschlag erst eine Bundestags-Mehrheit organisiert werden muss.
Die Bundesrepublik Deutschland war bis vor kurzem noch drittstärkste Volkswirtschaft in der Welt. In der Verteidigungspolitik gibt es kein belastbares Zukunftskonzept, außer eine auf Einzelbeschaffungsprojekte
ausgerichtete viel zu teure Beschaffungspolitik. — Die ausgerufene Zeitenwende droht zur „Operetten-Politik“ zu verkümmern. Politiker, die im Bundestag, angesichts von Völkermord noch Reden mit irren Beschwichtigungspolitiken halten, werden zum NATO-Sicherheitsrisiko und selbst zur Kriegsursache, weil sie die Abschreckung zerstören!
Der Nebel des Krieges
Im Innern und in den Köpfen der europäischen Bürgerinnen und Bürger wächst heute eine Unsicherheit, die den Willen und die politische Intelligenz behindert. Angetrieben von hybrider Propaganda, FakeNews und Desinformation, entfaltet sich ein „Informations-Nebel“, der dazu auch von offenen und verdeckten Interessenpolitiken und Lobbyismus verdichtet und vermehrt wird.
„Si vis pacem para bellum“ – „Wenn du (den) Frieden willst, bereite (den) Krieg vor“ — dieses alte aus analogen Zeiten stammende Sprichwort gilt heute so allein nicht mehr! „Purgare nebula ac mentes purgare“ – „Lichte den Nebel und halte die Köpfe klar“ — Aufklärung, Klarheit, und Wahrheit müssen alltäglich gesichert und gepflegt werden, bevor Politik, Zukunftsgestaltung und Verteidigung überhaupt in Gang kommen können.
Im digitalen und medialen Zeitalter müssen daher auch alltäglich Sichtbarkeit, Übersicht und strategische Übersicht erkämpft, bewahrt und errungen werden!
Es gilt, den Nebel des Krieges schon im Frieden zu bekämpfen, und Führung nicht schon im Frühnebel von neuen Entwicklungen blind werden zu lassen und Übersicht zu verlieren! Clausewitz hat die Warnung bereit, die den ganzen Erkenntnisapparat herausfordert:
Der Krieg ist das Gebiet der Ungewißheit; drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewißheit. Hier ist es also zuerst, wo ein feiner, durchdringender Verstand in Anspruch genommen wird, um mit dem Takte seines Urteils die Wahrheit herauszufühlen.“
– Carl von Clausewitz: Vom Kriege
Erneuerte strategische NATO-Abschreckungspolitik
Das 25-jährige Jubliläum der NATO-Westintegration schafft neue und bessere Voraussetzungen für eine weiter entwickelte und zukunftsfähige, auf Abschreckung aufbauende Militär- und Rüstungspolitik, die auch die langfristige Friedenserhaltung zum Ziel hat.
Einige Ideen, Innovationen und Grundsätze einer neuen NATO-Abschreckungspolitik sind bereits seit 2015 der russischen Krim-Besetzung erarbeitet worden, und werden heute nicht im offenen Internet verhandelt.
Schon im Jahr 2015 war beispielsweise das technische Scheitern des neuen russischen Panzers ARMATA-T14 vorhersehbar: „ARMATA mit „Super-Plopp“ bekämpfen.
Die grundlegenden und wirksamen Abschreckungseffekte sind heute nicht grundlegend anders, als 2015. Russische Angriffe auf NATO-Partner können noch vor dem eigentlichen Start von Atomwaffen binnen ein- bis zwei Stunden durch parallel initiierten Zweitschlag vergolten werden.
Der aktuelle Einsatz von atomar bestückten B-52 Bombern entlang der NATO-Grenze und die große Zahl atomwaffenfähiger, überschallschneller Tarnkappenbomber (B1, B21 und F35 Lightning II) unterstreicht das Potential der „Abschreckungsfähigkeiten“ der NATO.
Auf Seiten der 34 NATO-Partner müssen vor allem die Führungs- und Kommando-Strukturen und die politische Führung erneuert und angepasst werden. — Das bisher auf die Schaffung einer Europäischen Streitmacht ausgerichtete politische Interesse in Deutschland, muss schon aus Kostengründen überprüft werden. Dazu kommen fehlendes Vertrauen in die deutsche Kompetenz und Führung, sodass alles neu überprüft werden muß.
Orientierungsmaßstab für die erweiterte neue „NATO 34“ ist der in Großbritannien entwickelte integrierte und bewährte Ansatz der internationalen Konfliktbearbeitung („Integrated Approach“). Darin werden alle diplomatischen, entwicklungs- und verteidigungspolitischen Aktivitäten der Konfliktbearbeitung im „Integrated Approach“ zusammen geführt.
Seine Ausgestaltung erfolgt durch übergeordnete Strategien, spezifische Richtlinien und regelmäßige Evaluierungen. In der heutigen multipolaren Welt müssen auch wirtschafts- und ressourcenpolitische Ansätze integriert werden, um den Aufwuchs von „lokalen Kriegs-Ökonomien“ und „Vertreibungs-Ökonomien“ möglichst früh zu bekämpfen bzw. sogar zu unterbinden.
Die deutsche Sicherheitspolitik ist völlig unzureichend aufgestellt. Ein ständiger Nationaler Sicherheitsrat fehlt. Der bisherige vernetzte sicherheitspolitische Ansatz der deutschen NATO-Sicherheitspolitik des „Comprehensive Approach“ verlangt einen abgestimmten Einsatz aller Instrumente der Politik. Er ist aber derzeit zu anspruchsvoll, weil ein tragfähiges Strategisches Konzept und die nationale Führung fehlen bzw. fehlentwickelt sind.
Der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik Botschafter Ekkehard Brose hat dazu einen bis heute bemerkenswerten Einblick gegeben. Botschafter Ekkehard Brose: „Ich denke dabei auch an die relative Unvereinbarkeit der deutschen friedenspolitischen Diskussion mit der sicherheitspolitischen Diskussion. Das sind zwei Welten in Deutschland. Ich bemühe mich immer zwischen den Welten zu tanzen, aber das sind zwei Welten in Deutschland, die manchmal relativ abgeschottet voneinander leben und argumentieren.“
Der aktuelle Fall: die Debatte um den Einsatz und die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern hat die Selbstunwirksamkeit zentraler Akteure der Bundesrepublik Deutschland zutage treten lassen! Wichtige militärische Geheimnisse wurden ohne Not preisgegeben, weil Politiker Schaukämpfe, Wahlkämpfe und Sicherheitspolitik in völlig verantwortungsloser Weise vermischen! Ein Sicherheits-Kabinett mit einer Drei-Parteien-Regierung funktioniert nicht! Und ein 103-köpfiges Beratungsgremium kann nichts geheim halten!
Die bisherige deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss grundlegend und mit insgesamt 34 NATO-Partnern justiert und modernisiert werden. Dazu muss das bisherige Primat der Politik hinterfragt werden. Denn es gibt derzeit unter Politikern keine ausreichende sicherheitspolitische und militärische Kompetenz und dazu auch keine dauerbeobachtungsfähigen Führungspersonen.
Derzeit sind die notwendigen und hinreichenden Kompetenzen auf allein das NATO-Generalsekretariat und den Internationalen Stab konzentriert. Dies muss konstruktiv und auf Langfristigkeit neu ausgerichtet werden, und alle NATO-Partner einbeziehen. — Innerhalb der NATO müssen in Brüssel neben dem durch die Vereinigten Staaten bestimmten Nordatlantikrat (engl. North Atlantic Council, NAC) muss es einen Europa-Asien-Rat und einen Europa-Asien-Rat geben. Diese sind mit beamteten und mit militärisch auf Dauer berufenen Personen und Ämtern auszustatten. Eine umfassende und auf Krisenräume bezogene Krisenbearbeitung, Kriegsvermeidungsplanung und im Ernstfall eine NATO-Einsatzplanung mit belastbaren Einsatzszenarien müssen hier auch geheim beraten und geführt werden können.
Das NATO 2022 Strategic Concept, beschlossen vom 32 Mitgliedsstaaten beim NATO-Gipfel am 28/29. Juni 2022 in Madrid, muss heute auf 34 Staaten erweitert werden.
Dabei müssen auch völlig neue militärische Erkenntnisse und Fähigkeiten aus dem Ukraine-Krieg und die Erkenntnisse aus hybrider Kriegsführung und Infomationskriegsführung eingeplant werden.
Die Digitalisierung des Gleichgewichts des Schreckens wurde schon 2017 in der Pankower Allgemeine Zeitung thematisiert.
Als Innovation kommt diese neue Anforderung dazu: das NATO Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence (NATO CCD COE) mit Sitz in Tallin, Estland, muss künftig besser ausgestattet werden, und in allen 34 Ländern adäquate nationale Gegenstellen bekommen.
— Ziel ist es, den Frieden unter den Bedingungen des Informationskriegs gewinnen zu können, damit das kriminelle Russland nicht allein 34 Demokratien seinen Willen aufzwingen kann.
„Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“
– Carl von Clausewitz: Vom Kriege
Das alte Zitat von Clausewitz muss heute im digitalen Zeitalter mit seinen Echtzeit-Kriegspotentialen und Waffensystemen mit selbst-lernfähiger Künstlicher Intelligenz (AI-Waffensysteme) neu überdacht werden! — Auch unter den Bedingungen des Informationskrieges dürfen AI-Waffensysteme nicht die Führung übernehmen, ausschalten oder überbrücken. Und gegnerische AI-Waffensysteme dürfen sich nicht im digitalen Gegeneinander verselbstständigen können.
Fortsetzung folgt
Nächster geplanter Beitrag:
Michael Springer: Neue Russland-Politik? Oder eine ganz neue Europa-Asien-Politik?
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